Zeitzeugen/ Survivors

Teil 2, Ravensbrück, 4. - 8. März 2013

Lyudmila Voloshina, Moskau/ Russland
Lyudmila Voloshina wurde am 8. März 1926 in Odessa in einer jüdischen Familie mit drei älteren Geschwistern geboren. Als die große Hungersnot in den 1930er Jahren das Gebiet erfasste, zog die Familie in die Ostukraine, nach Stalino (dem heutigen Donezk). Im Oktober 1941 wurde die Stadt von den deutschen Soldaten besetzt. Kurze Zeit später wurden ihre Eltern und auch der kleine Sohn der ältesten Schwester von den Deutschen erschossen. Lyudmila besorgte sich neue Dokumente, einen neuen Namen und floh. Ihr richtiger Name „Savranskaja” klang zu jüdisch. 60 Kilometer außerhalb der Stadt wurde sie jedoch von der ukrainischen Schutzpolizei festgenommen, einen Monat festgehalten, verhört und an die Deutschen übergeben. Schließlich wurde sie nach Deutschland verschleppt, um als Zwangsarbeiterin in einer Drahtfabrik für die Marine zu arbeiten. Ein Jahr später wurde das Mädchen der Sabotage beschuldigt und landete kurz darauf im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück, wo sie die Häftlingsnummer 34281 bekam. Nach Quarantäne kam sie in das Außenlager Neu-Brandenburg und drehte Teile für die Rüstungsindustrie. Am 29. April 1945, als sich sowjetische Artillerie den Lagern näherte, wurden die Gefangenen in Kolonnen nach Malchow und Schwerin getrieben. In einem günstigen Moment flüchtete Lyudmila Voloshina und versteckte sich in einer alten verfallenen Fabrik. Am 1. Mai 1945, wurde sie von sowjetischen Soldaten gefunden. Weil sie die deutsche Sprache beherrschte, blieb Lyudmila Voloshina nach dem Krieg noch zwei Jahre als Dolmetscherin für das Militär in Deutschland. Dann ging sie schließlich nach Moskau, wo sie ihre älteste Schwester inzwischen ausfindig gemacht hatte, heiratete und bekam eine Tochter. Sie lebt auch heute noch in Moskau.

Brygida Czekanowska, Gdańsk/ Polen
Brygida Czekanowska wurde am 29. August 1928 geboren. Als am 1. August 1944 der Warschauer Aufstand begann, war sie fast 16 Jahre alt. Frau Czekanowska berichtet uns:

„Ich war Pfadfinderin. Als der Aufstand begann, wurden alle Einwohner aus den Häusern herausgetrieben - Frauen, Mädchen und Männer wurden getrennt, in ein Übergangslager getrieben, es waren nur Hallen. Ich hatte Glück und blieb mit meiner Mutter zusammen. Zwei Tage fuhren wir im Viehwaggon - wohin? Was ist mit uns und was wird werden?
Erst kamen wir nach Buchenwald, dort war kein Platz. Dann nach Bergen-Belsen, auch dort kein Platz für uns. Die Nazis wussten nicht, was sie mit uns machen sollten. In Bergen-Belsen lebten wir unter einem  großen Zelt, hatten nichts zu essen, nur das, was wir noch von zuhause mit hatten. Es gab  nur einen Wasserhahn. Dies dauerte zwei Wochen lang. Nach dieser Zeit wurden wir wieder in Viehwagen getrieben und landeten in Ravensbrück. Dort war ich nur sehr kurz: drei Wochen in Quarantäne – eine ärztliche Prüfung, ich musste mich nackt ausziehen, SS-Ärzte im weißen Kittel sahen uns in den Mund:  das war die ganze Prüfung.
Mein Glück war: ich konnte Deutsch, denn als kleines Kind lebte ich in Danzig und Sopot.
Ich kam in den Rüstungsbetrieb Kleinlinden in Klein-Machnow bei Berlin. Es waren große Hallen, eine davon mit elektrischem Stacheldraht umzäunt. Unter einer Halle war ein Raum: unsere „Stube“. Wir mussten zwölf Stunden arbeiten und hatten zwölf Stunden ‚frei’, lebten in der „Stube“.
Anfang April wurden wir evakuiert nach Sachsenhausen, dann auf den Todesmarsch geschickt. Am 9.5.45 wurde ich im Müritz-Gebiet von der amerikanischen Armee befreit.“

Frau Czekanowska studierte nach dem Krieg Medizin und arbeitete als Ärztin.

Zbigniew Stasiak, Płock/ Polen
Zbigniew Stasiak kam am 12. Februar 1945 im KL Ravensbrück zur Welt. Seine Mutter, Aniela Stasiak, wurde aufgrund ihres Engagements im polnischen Untergrund ein Tag vor ihrer Hochzeit von den Deutschen verhaftet. Am 30. August 1944 kam die damals bereits schwangere Aniela ins Konzentrationslager Ravensbrück, wo sie die Häftlingsnummer 61614 erhielt. Ende April 1945 brachte das Schwedische Rote Kreuz Mutter und Sohn nach Malmö, wo Zbigniew am 2. Mai 1945 getauft wurde. Im November 1945 kehrten sie nach Polen, in den Heimatort der Mutter, zurück. Nach der Heirat der Mutter in 1946 bekam Zbigniew zwei Halbschwestern. Zbigniew Stasiak war Elektriker von Beruf. Er ist seit 1970 verheiratet und hat einen Sohn und eine Tochter sowie eine Enkelin. Seit mehreren Jahren engagiert er sich ehrenamtlich für das Maximilian-Kolbe-Werk in Polen.

Ingelore Prochnow, Bielefeld/ Deutschland
Ingelore Prochnow wurde im April 1944 im KZ Ravensbrück geboren. Ihre 19-jährige Mutter war im fünften Monat schwanger, als sie im Dezember 1943 ins KZ Ravensbrück kam. Grund ihrer Inhaftierung war die Verbindung zu Ingelores Vater, einem polnischen Zwangsarbeiter. Anfang Mai 1945 wurden Ingelore mit ihrer Mutter und anderen Häftlingen auf einem Todesmarsch ins Außenlager Malchow von den sowjetischen Soldaten befreit. Zunächst lebte das Mädchen bis zum Alter von ungefähr drei Jahren mit ihrer Mutter zusammen. 1947 wurde sie von der Mutter im Flüchtlingslager in Siegen verlassen. 1949 kam Ingelore zu Adoptiveltern. Erst Mitte der Achtzigerjahre erfuhr sie von ihrer Geburt im KZ und machte sich auf die Spurensuche…
Ingelore Prochnow ist verheiratet und hat zwei Töchter. Heute lebt sie in Bielefeld.


Teil 1, Oświęcim/ Auschwitz, 22. - 28. Januar 2013



Jacek Zieliniewicz, Bydgoszcz/ Polen
• geboren am 10. Mai 1926 in Janowiec Wielkopolski
• Dezember 1939: von den deutschen Besatzern nach Końskie in das
  Generalgouverne-ment zwangsumgesiedelt
• 20. August 1943: Inhaftierung und Deportation ins KZ Auschwitz-Birkenau
• 1944: Verlegung ins Konzentrationslager Dautmergen bei Rottweil

  (Außenlager des KZ Natzweiler-Struthof), Sklavenarbeit
• 18. April 1945: Todesmarsch
• 23. April 1945: Befreiung durch französische Truppenverbände
• Frühjahr 1945: Rückkehr nach Polen
• Nach 1945: Studium der Lebensmitteltechnologie in Poznań (Posen), arbeitet 50 Jahre lang als Ingenieur in
der Fleischwirtschaft
• Verheiratet, lebt heute in Bydgoszcz, hat zwei Töchter, drei Enkel und dreu Urenkel
• Vorsitzender des „Towarzystwo Opieki nad Oświęcimiem“ (Vereinigung zur Betreuung der ehemaligen
Auschwitz-Häftlinge) in Bydgoszcz
• Spricht Polnisch und Deutsch


Anastasia Gulej, Kiew/ Ukraine
• geboren am 12. Dezember 1925 in Grabarowka, Gebiet Poltawa
• Mai 1943: Zur Zwangsarbeit nach Königshütte bei Kattowitz verschleppt
• Verhaftung nach einem misslungenen Fluchtversuch, Gefängnis in Rzeszów,
Gestapogefängnis in Tarnów
• 8. August 1943: Deportation ins KZ Auschwitz-Birkenau, Verlegung ins Außenlager Budy, Sklavenarbeit
• Januar 1945: Verlegung ins KZ Buchenwald, danach nach
Bergen-Belsen
• 15. April 1945: Befreiung durch alliierte Truppen
• Transport in die Sowjetische Besatzungszone
• August 1945: Rückkehr in die Sowjetunion, danach Schule, Studium der
Forstwirtschaft in Kiew
• 1950: Abschluss als Diplom-Ingenieurin, arbeitet 20 Jahre in Moldawien
• Lebt heute in Kiew, hat drei Kinder und sechs Enkel
• Mitglied der Vereinigung der ehemaligen politischen Häftlinge der nationalsozialistischen Konzentrationslager
• Spricht Ukrainisch und Russisch

Julijana Zarchi, Kaunas/ Litauen
Julijana Zarchis Vater, ein litauischer Jude, studiert und promoviert in Basel. Danach arbeitet er in Düsseldorf, wo er seine zukünftige Ehefrau, eine Deutsche kennen lernt. 1934 wollen bei-de heiraten, was aber in Deutschland nach der Machtergreifung schon nicht mehr möglich war. Sie fahren nach Litauen und heiraten dort in der Synagoge. Frau Zarchi wird litauische Staatsangehörige. Beide kehren nach Deutschland zurück, werden jedoch im Jahr 1937 nach Litauen ausgewiesen. Dort kommt 1938 Julijana zur Welt. Ihr Vater wird ermordet. Als Dreijährige kommt sie ins Ghetto Kaunas. Sie überlebt im Versteck. Nach der Befreiung Litauens durch die Sowjetarmee wird Julijana zusammen mit ihrer Mutter, die jetzt wieder als Deutsche gilt, vom Stalin-Regime zur Zwangsarbeit nach Tadschikistan deportiert. Erst 17 Jahre später kehren beide nach Litauen zurück. Julijana Zarchi (74) lebt in Kaunas/Litauen. Sie ist Dozentin für Deutsch an der Universität Kaunas. Julijana Zarchi spricht u.a. Russisch und Deutsch.


 Zdzisława Włodarczyk , Chrzanów/ Polen
• geboren am 21. August 1933 in Kamieniec (Großpolen)
• bis September 1939: Familie Włodarczyk lebt in Warschau
• September 1939: Flucht vor den Deutschen nach Kowel in
  Wolhynien (heutige Ukraine)
• Oktober 1939: Rückkehr nach Warschau
• Vater im polnischen Widerstand engagiert
• August 1944: nach dem Ausbruch des Warschauer
Aufstands 
inhaftiert
• 8. August 1944: Deportation ins KZ 
Auschwitz-Birkenau, Trennung
 von den Eltern, Kinderbaracke von  Auschwitz-Birkenau
• 1945: Mutter auf den Todesmarsch getrieben, Zdzisława und ihr Bruder blieben in Auschwitz-
Birkenau
• 27. Januar 1945: Befreiung, Rückkehr der Mutter, Vater im KZ Flossenbürg umgekommen
• Nach 1945: arbeitet seit ihrem 15. Lebensjahr, 1966: Heirat und Umsiedlung nach Chrzanów
• Seit Ende der 1980er Jahre engagiert sich ehrenamtlich für das Maximilian-Kolbe-Werk in Polen
• Spricht Polnisch

Ksenia Olkhova, Moskau/ Russland
• geboren als Krystyna Zienkiewicz am 5. Februar 1930 in Warschau
• bis Oktober 1944: lebt  in Warschau mit der Mutter und der Schwester Lidiya (Ludwika), der Vater starb 1934
• Oktober 1944: Inhaftierung der Familie nach der Niederschlagung des Warschauer Aufstands, Durchgangslager Pruszków, Trennung von der Mutter, Deportation der Schwestern nach Auschwitz-Birkenau
• Dezember 1944: Transfer ins KZ Neuengamme bei Hamburg
• Nach der Befreiung im Mai 1945: Rückkehr nach Warschau, Transfer der verwaisten Schwestern in die Sowjetunion, Schule für Kommunikation in Krasnodar, Studium der Musikpädagogik in Moskau,   Leitung
 einer Musikschule in Moskau (26 Jahre lang)
• Lebt heute in Moskau, hat zwei Söhne, Enkel und Urenkel
• Engagiert sich bei der Vereinigung ehemaliger minderjähriger Häftlinge des Faschismus
• Spricht Russisch und Polnisch



Alina Dąbrowska, Warschau/ Polen
Alina Dąbrowska (89)  lebt heute in Warschau. 1942 wird sie wegen „Geheimnisverrats“ verhaftet. Nach einjähriger Gefängnishaft im Juni 1943 Deportation nach Auschwitz. 18 Monate lang erlebt sie dort die Hölle des Konzentrationslagers. Im Zuge der Evakuierung des Lagers Auschwitz im Januar 1945 Verlegung ins KZ Ravensbrück, später Buchenwald. Auf einem der ‚Todesmärsche’ gelingt ihr im April 1945 die Flucht. Nach dem Krieg Studium des Völkerrechts und langjährige Tätigkeit im polnischen Außenministerium. Seit vielen Jahren engagierte Zeitzeugin im Maximilian-Kolbe-Werk. Alina Dąbrowska spricht Polnisch, Deutsch und Russisch.

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